"Guten Morgen!"
Laut hallten die Absätze jenes Mannes auf dem Steinboden des Konferenzraums, der gerade von der Tür auf Torg zu ging. Er war hoch gewachsen, dunkelhaarig und wirkte recht drahtig. Gleichzeitig gaben ihm sein Lächeln und der offenbar sehr teure Anzug eine seltsame Aura. Der Mann schien wichtig zu sein.
"Geht es Ihnen gut?"
Die Stimme kam ihm bekannt vor. Nur woher..
"Den Umständen entsprechend. Und verzeihen sie mir bitte meine Unhöflichkeit, wäre ich nicht an den Stuhl gefesselt, würde ich Ihnen entgegenkommen und die Hand reichen."
"Na wenigstens haben sie in der Zelle nicht ihren Humor verloren."
"Ach, jetzt weiß ich, woher ich Ihre Stimme kenne. Ihnen habe ich zu verdanken, das man mich nicht mit den Schmerzsonden bearbeitet hat. Ebenso wie die Isolierhaft. Soll ich mich nun bei Ihnen bedanken oder beschweren? Oder was mich schon seit Wochen interessiert, warum zum Teufel habt Ihr das überhaupt mit mir gemacht? Wem habe ich denn was getan?"
"Mein lieber Torg, da kommen sie aber überaus schnell zum eigentlichen Thema unseres kleinen Gesprächs. Dabei hatte ich gehofft, wir könnten uns erstmal etwas allgemeiner unterhalten. Sagen Sie, haben Sie eigentlich Hunger?"
"Wenn sie mich so fragen.."
"Dachte ich es mir doch."
Der feine Herr im Anzug ging einige Meter hinter Torgs Stuhl und zog auf dem Rückweg einen Servierwagen hinter sich her, auf dem in mehreren Etagen große abgedeckte Platten lagen.
"Übrigens habe ich beschlossen, Vegetarier zu werden."
"Warum nicht, dann werden Ihnen sicher die Früchteplatten zusagen."
Mit großen Augen sah Torg wie plötzlich zwei verschieden große Anrichteplatten mit lecker duftendem Obst auf dem langen Konferenztisch vor ihm landeten. Als nun auch noch seine Handschellen geöffnet wurden wähnte er sich im Paradies. Für einen Moment hielt er inne. Am Bauch war er immer noch festgebunden. Schade. Dann griff er zu und stopfte sich vergnügt die saftigen Mangone-Streifen in den Mund. Dieser Geschmack, unglaublich!
"Wiffen Wie eigentliff, wie lange ich schon kein Obst mehr gegessen haben? Das müssen einige Wochen gewesen sein."
"Über zwei Monate."
Mittlerweile saßen sich die beiden am Tisch gegenüber.
"Zwei Mo.. hmm. Tageslicht wäre übrigens auch mal wieder recht schön. Aber das bringt mich auf unser eigentliches Thema zurück. Warum bin ich hier? Und ohne unhöflich sein zu wollen, aber vorgestellt haben Sie sich auch noch nicht."
"Sie haben recht, aber mein Name tut hier im Grunde nichts zur Sache. Wissen Sie, es ist auch viel bedeutsamer wen ich hier vertrete. Das wird auch Ihre anderen Fragen klären."
Torg unterbrach kurz sein Schmatzen und schaute ihn prüfend an.
"Es ist ja so, dass wir Drulls schon seit je her diese zwei völlig gegensätzlichen Seiten an uns haben. Zum einen sind wir hochbegabt, wenn es darum geht neue Techniken zu entwickeln, zu forschen oder generell uns auszubreiten und uns die Welt Untertan zu machen. Aber andererseits geraten wir dabei durch unsere Streitlust und Unachtsamkeit auch ständig in Situationen, in denen unsere ganze Existenz auf dem Spiel steht. Bürgerkriege, wild gewordene KIs oder wie jetzt gerade ein verrückter alter Imperator, der nach Jahrhunderten in einem Computer plötzlich die Kais gegen uns aufhetzt. Die Gründer der Organisation, die ich vertrete, haben schon früh erkannt, dass wir mehr Ordnung brauchen, wenn wir überleben wollen. Ordnung und Kontrolle. Und dafür sorgen wir, wenn das System mal wieder aus der Balance geraten ist."
"Und das kriegen Sie hin?"
"Es ist nicht immer einfach, aber am Ende zahlt es sich aus, wenn man immer gut informiert ist. Nehmen wir diesen unnötigen Krieg, den wir gerade führen. Caros Truppen stehen schon kurz vor Hallwa und auch wenn Sie es hier unten noch nicht mitbekommen haben, die Stadt wird gerade kleingebombt. Aber das wird sich bald ändern. Nachdem wir herausgefunden haben, dass Caro durch den Imperator fern-gesteuert wird haben wir die Informationen einem unserer Benun-Kommandeure zugespielt, der ihr den Steuerungs-Chip entfernen wird. Und wenn Lark Urelis sie abgekoppelt hat wird der Krieg so schnell beendet sein wie er angefangen hat. Das Beste ist dabei, dass niemand ahnen wird, dass wir es waren, die mal wieder den Staat gerettet haben."
Torg schaute kurz auf, als er die erste leere Platte weg schob und sich der zweiten widmete.
"Warum wollen Sie sich denn nicht Ihre Lorbeeren für Ihre großen Dienste abholen? Das wäre doch gut für Sie, wenn Sie sich als Helden feiern lassen könnten."
"Wir arbeiten nun mal lieber im Verborgenen. Schließlich sind wir es, die die Politik dieses Landes gestalten und nicht umgekehrt."
"Sehr demokratisch klingt das aber nicht."
"Das habe ich auch nicht behauptet."
Auf sein süffisantes Lächeln hin breitete sich eine kurze Stille aus, bis Torg plötzlich fragte:
"Nunja, das ist ja alles sehr interessant, aber warum erzählen Sie mir das?"
"Ich möchte, dass Sie verstehen, wie Sie in die Geschichte passen."
"Ich?"
"Ja, Sie. Wahrscheinlich ahnen Sie noch nicht einmal, welche Bedeutung sie haben."
"Stimmt und Sie machen mich auch sehr neugierig."
"Dabei steckt die Antwort schon in Ihrem Namen bzw. Ihrer Kenn-Nummer: KE/TOR-Q318."
Beinahe verschluckte sich Torg an einer Banula-Beere und musste kurz husten.
"Klon-Einheit, was für eine schrecklich technische Bezeichnung für lebendes Wesen. Titan-Net Operative Reserve, Serie Q. Es ist ja so, dass die Serienbenennung noch von Titan-Net stammt. Als wir damals nach dem großen Krieg die unzähligen eingelagerten Klon-Embryonen vorfanden hatten wir ja keine Ahnung, wofür die verschiedenen Serien mal gedacht waren. Daher gingen wir auch davon aus, dass die mal alle für den Kampfeinsatz vorgesehen waren."
Torg konnte sein Kinn nur mit Mühe oben behalten.
"Erst als wir kürzlich die abgefangenen Datenströme aus Caros Hauptcomputers untersuchten stießen wir auf einige aufschlussreiche Details. Wir wissen nicht wie, aber offenbar ist es Vasius in seinem Exil gelungen, in die Speicher von Titan-Net einzudringen und für ihn wichtige Informationen zu stehlen. Er war sehr an einem Forschungsprojekt interessiert, mit dem schon Titan-Net versuchte, sich eine physische Präsenz zu geben. Zu seinem Leidwesen hatte Vasius aber nie die technischen Möglichkeiten, eine eigene Klonreihe aufzubauen und die Experimente nach Titan-Nets Fall fortzuführen. Somit bleibt Ihr also glücklicherweise einzigartig."
"… soll das heißen, das ich, also die Q-Serie, also äh.. wir sollten dem Computer als Wirt dienen?.."
"Genauer gesagt seiner Gedankenmatrix, aber ja, so war es gedacht. Darum sind die Klone der Q-Serie mit außerordentlich komplexen Hirnstrukturen ausgestattet, die sie dem normalen Drull weit überlegen machen. Nach unserer Einschätzung war das Programm und damit die Klone noch nicht weit genug fortgeschritten, um ihre Aufgabe zu erfüllen, aber dennoch macht Sie das zu einer hochentwickelten Lebensform. Mit entsprechendem Training und Ausbildung könnten Sie mit Ihren Fähigkeiten alle anderen auf ihre Plätze verweisen."
"Sie nehmen mich auf den Arm, oder?"
"Das ist noch nicht alles. Wenn ich Ihnen sage, woher die genetischen Proben stammen, werden Sie mich für verrückt halten. Das gesamte Erbgut aller Klonreihen hat Titan-Net wiederum dem drullischen Zentralcomputer entwendet. Und der war damals gleichbedeutend mit dem ROOM. Ihre Zellen sind also Modifikationen von Reproduktionen einer Synthese der Erbinformationen aller Mitglieder des Rates der Weisen. Titan-Net wollte für sich scheinbar nur das Beste."
"Sie haben recht, Sie sind verrückt."
"Wenn es doch nur so wäre. Leider sind alle Klone, seinen es nun die Arbeits-, Kampf- oder Auslagerungslinien aus den Genen des Rates der Weisen bzw. des ROOM geschaffen worden."
"Moment, aber das heißt doch, dass wie Euresgleichen sind. Wir sind genauso Drulls wie ihr! Ihr habt gar kein Recht, uns so diskriminierend zu behandeln! Endlich werden wir gleichgestellt werden und müssen keine Ausgestoßenen mehr sein."
"Dazu wird es nie kommen."
"Was?"
"Glauben Sie wirklich, dass es unser Ziel ist, der Bevölkerung zu offenbaren, dass eine drullische Regierung, ausgerechnet der von allen als Retter in der Not hoch geachtete Rat der Weisen, so verkommen war, seine Regierungszeit durch Klone seiner selbst ins Unendliche zu verlängern? Dass dessen Gene von unserem Erzfeind in Computerform gegen das drullische Volk eingesetzt wurden? Glauben Sie wirklich, dass bei einem Platzen dieser Bombe auch nur ein Klon wieder durch die Strassen Hallwas laufen kann, ohne gleich von einem aufgebrachten Mob gelyncht zu werden? Denken Sie tatsächlich, dass sich die Administrationen der letzten 20 Jahre nachsagen lassen wollen, dass von diesen Vorgängen der ROOM, Titan-Net und Vasius wussten und nur sie allein keinen Schimmer davon hatten?"
"Nein.. Was werden sie jetzt tun?"
"Wir werden das tun, was wir immer getan haben, wir werden die Situation bereinigen."
"Was heißt das?"
"Wir werden dafür sorgen müssen, dass die Klone verschwinden. Daten werden gelöscht. Zeugen werden verstummen."
"Das können Sie nicht tun! Das fällt auf, damit kommen Sie nicht durch!"
"Oh doch und es ist einfacher als sie denken. Die wenigen verbliebenen Vertreter der Q-Serie werden derzeit gesucht und beseitigt. Wenn dieser Krieg vorbei ist wird sich plötzlich eine Seuche unter den Neubürgern ausbreiten, die offiziell von den Kais eingeschleppt wurde. Heilung wird es nicht geben. In einem halben Jahr werden alle Klone tot sein und in einem Jahr hat man sie auch schon vergessen. Das ist tragisch aber notwendig. Und wir sind die, die das notwendige tun."
"Notwendig? Sie sind doch wahnsinnig!"
"Es tut mir leid, dass Sie das so sehen. Ich hatte mir von diesem Gespräch etwas mehr Verständnis ihrerseits erhofft. Nun denn, es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Leben sie wohl."
Im Aufstehen blickte er Torg, der nun wie wild an seinen Fesseln zerrte, noch einmal ins Gesicht und zeigte sein gewinnendes, aber in Wirklichkeit todringend kaltes Lächeln. Der Mann ohne Namen knöpfte sein Sakko zu und ging bedächtigen Schrittes zur Tür. Wieder hallten seine Schritte durch den Raum. Dazu mischten sich Torgs Schreie.
"Was, Verständnis für einen Mörder? Das können sie nicht tun. Das können sie nicht tuuun!!"
Eine leere Obstplatte flog noch in Richtung Tür, als eine Gruppe von Soldaten in den Raum stürmte und auf Torg einschlug. Benommen spürte er, wie seine Hände wieder gefesselt und er aus dem Raum geschleift wurde. Eine weitere Tür öffnete sich und als sie sich schloss raste der Raum plötzlich nach oben. Ein Fahrstuhl, dachte Torg. Dann musste er sich übergeben, während die Soldaten laut lachten und noch mal auf ihn am Boden eintraten. |